Glück am Stück

Der Mann findet Glück höchstens in winzigen Momentsplittern. Meist kommt es wie eine Welle, dauert nur sekundenweise. Nach langem Tag, nach harter Arbeit, ein kurzer Moment von Einhalt, von Loslassen können, von Nichts-Tun-Müssen-Nur-Sein-Dürfen-Und-Alles-Vergessen-Haben. Dann ist der Moment wieder weg, ist der Mann wieder in der Welt, wie sie ist und wie sie nicht schön ist.

Heute ist alles anders.

Es ist Sonntag und der Mann ist aus dem Schwarz der Nacht aufgetaucht. Helle Sonnenstrahlen weckten ihn, vielleicht auch die Wärme, die deutlich grösser ist als normal. Sein Hemd war leicht verschwitzt, die Bettdecke unangenehm heiss. Sogleich stand er auf, rieb sich die verkrusteten Krümel aus den Augen, öffnete die Rolläden.

Sommersonne. Zum ersten Mal.

Der Mann ist erstaunt, wie wach er ist. Kein Kopfweh, kein Fluchtgedanke vor dieser Welt.

Frühstück!

Wieder mal ein richtiges Frühstück machen. Nicht nur schwarzen Kaffee trinken um das Blei von den Augen ab zu lösen, sondern Kaffee und zwei Stücke Brot und ein wenig Schinken herrichten. Und ein Spiegelei!
Das richtet der Mann her und fühlt sich wohl. Freut sich über sein Frühstück, das er auf seinen kleinen Mikrobalkon auf die Strassenseite trägt. Dort lässt er sich nieder.

Er ist glücklich.

7 Minuten.

Soviel Glück findet er manchmal am Abend vor dem Einschlafen.

7 Minuten.

Soviel Ruhe findet er in seinen 15-Minuten-Kaffeepausen bei der Fliessbandarbeit, wenn er sich ein wenig beruhigt hat, endlich einen Moment abschalten kann und der Gedanke ihn noch nicht erschlagen hat, dass es gleich wieder los geht mit dem Horror.

Und jetzt.

Er sitzt auf dem Balkon und weiss, dass er endlich mal Glück an einem ganzen langen Stück geniessen wird. Eine halbe Stunde bei sich sein dürfen. Wahrscheinlich mehr. So lange, dass man alle Zeit und alle Welt vergisst. Sein dürfen. Einfach in aller Ruhe auf seinem Balkon sitzen dürfen. Das Brot kauen, den Kaffee, das mit Mallorca-Salz gesprenkelte Spiegelei geniessen.

Harmonie erleben.

Ruhe geniessen.

Ruhe.

Noch bevor der Mann sich in den Stuhl gesetzt hat, geht ein Riesengeschrei los. Kinder aus der Nachbarschaft kommen um die Ecke geschossen, legen sogleich los mit ihrem Spiel, jagen dem Ball nach mit Geheul. Sie Kreischen. Schreien.

Glückliche Kinder.

Trauriger Mann.

Er trägt sein Frühstück in die Wohnung zurück, schliesst die Fenster.


  




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