Falten an Sylvester

Der Mann hat in diesem Jahr drei neue Falten bekommen. Er hat sie sich redlich verdient. Bemerkt hat er die Falten erst, als er an Sylvester vor dem Spiegel stand. Das tut er selten. Zuviel zu tun, zu wenig Zeit für sich selbst. Sein Bild kennt er sowieso. Das übliche Gesicht.
Nun hat er sich für einmal ein bisschen länger angeschaut. Vielleicht liegt es am Sylvester, am Übergang von Alt zu Neu, das bald schon wieder alt sein wird. Man hält inne und schaut für einmal auf sich selbst.
„Du bist älter geworden“, sagt der Mann zu seinem Spiegelbild.
„Älter oder weiser?“, fragt das Bild zurück.
„Wohl beides.“ Eine weise Antwort.
„Wie lange kann es jetzt noch gehen?“
„Was gehen?“
„Das Leben, so wie es ist. Noch ohne körperliche Schmerzen.“
„Es kann durchaus noch etwas dauern, was meinst du?“
„Ja, das denk’ ich auch.“
Viel haben sie sich vorgenommen, die beiden Männer, fürs nächste Jahr. Noch mehr schreiben, noch mehr Geschichten gestalten, noch mehr Glück erfinden. Die Melancholie verstehen, überwinden. Wenn das nicht geht, trotz allem ein bisschen leben wollen.

Überleben.

Der Mann lächelt nun und erhält ein ganzes Lächeln zurückgeschenkt. Das Leben nicht zu schwer nehmen. Gefühle zulassen. Schreiben. Bücher schreiben. Vor allem eins. Zu den Mitmenschen nett und verständnisvoll sein.
„Das Leben ist nicht einfach.“
„Du hast Recht. Es ist nicht leicht.“ Beide zucken mit den Schultern.
Dann streicht der Mann sich über die drei Falten, die er in diesem Jahr neu bekommen hat. Er ist älter geworden.

Aber noch lebt er.

Er versucht die drei Falten glatt zu streichen.
Es gelingt nicht.
Was einmal eingekerbt ist, bleibt.




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Rosarote Weisse Weihnacht


Der Mann sieht keine Farben mehr. Alles ist eingeschneit. Weiss wohin das Auge blickt. Weisse Wiesen, weisse Häuser mit strahlendweissen Dächern.
 „Die Baumstämme sind schwarz, immerhin“, denkt der Mann. Die Äste hingegen schon wieder schwarzbraun und oben weiss. Auch das Licht des Himmels ist nicht komplett. Es ist eingefärbt mit einem Hauch Zitrone.
Der Mann sieht genauer hin.
Eine Spur Violett bemerkt er in der Himmelswand, die weit entfernt von ihm steht. Es scheint ihm,  als ob das zittrige Gelb und das scheue Scarlett darin miteinander tanzen.
Je mehr der Mann die Welt schaut umso vielfältiger sind die Eindrücke. Er sieht eine Abdeckplane, die aufgeschichtetes Holz beschützt. Die Haube ist nur in Weiss, die Seiten der Plane aber Grün wie ein Laubfrosch.
Am Rand des Waldes nimmt er vielschattige Brauns wahr. Aufgescharrte Erde und Zweige die abgebrochen sind mit freigeschüttelten Blättern. Moosgrüne Tannen. Er sieht auch graugelb - Steinbrocken mit hohlen Seiten, wo der Schnee nicht hinkam.
Ein Punkt Rot in der Distanz - ein Fahrverbotsschild.
Ein Dutzend gelbe Flächen - zwei Baumaschinen.
Der Mann schaut in die kalte Welt. Je mehr er schaut umso farbiger wird sie.

Er sieht ein lindes Blau.

Ein filigranes Sepia.

Ein schwammiges Flaschengrün.

Stechendes Gelb.



Rosarot.




Farbiges Weiss, Dezember 2010




















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Exit am Montag

Der Mann ist schockiert. Aus dem Nichts heraus erzählt ihm eine alte Frau am Tisch, dass sie in 7 Tagen Selbstmord begehen will.
„In sieben Tagen ist Schluss.“
„Schluss mit was?“ hatte der Mann noch gefragt. Er hatte der Rentnerin, die ihm bisher unbekannt war, kaum zuhören können. Die fröhliche Runde am langen Festtisch redet dreifach durcheinander.
„Mit was Schluss ist?“ beugt die Alte sich zu ihm. „Na Schluss mit mir.“
„Mit Ihnen?“
„In genau einer Woche.“
Der Mann schaut die Rentnerin zögerlich an. Selbstmord will sie machen? Wie kommt denn das.
Die Frau erzählt es ihm. Ein ganzes halbes Leben legt sie dar. In nur fünf Sätzen und ein paar klirrenden Worten. Diabetes. Nierenversagen. Dialyse. Drohende Beinamputation. Genug vom Leben. Endlich Ruhe. Schlafen.
Der Mann ist bestürzt. Das Leben wegwerfen? Und wenn es noch so elend ist? Nein, das könnte er nicht. Ein einziges Prozent Freude genügt ihm schon. Er sagt es der Frau.
Die Frau hört nicht zu. Sie ist schon jenseits dieser bestimmten Grenze. Sie redet von Schmerzmitteln, Hoffnungslosigkeit, Selbstbestimmung, sieben Tagen.
Der Mann ist erschüttert. Seine Worte der eigenen Vernunft prallen an der Frau ab. Sie ist hart. Hart geworden von ihrem Leben.

Starr.

Die Frau berichtet weiter. Totenruhe. Abschied nehmen. Ins Licht gehen. Engelwesen. Himmel.
Der Mann gibt es auf. Er möchte reden mit der Frau. Doch ein Gespräch mit ihr ist schlicht unmöglich. Was kann er hier noch tun? Vielleicht kann er sein Mitgefühl ausdrücken?
Der Mann legt ihr seine Hand an den Oberarm und hört für einmal einfach zu.







Subway in New York, A train, New York City, 1993
















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Feliz Navidad

Der Mann ist beschwingt. Er hat alle Einkäufe erledigt, musste im Nespresso-Shop unerwarteterweise gar nicht lange warten. Die Leute sind alle schon zuhause und bereiten den Heiligen Abend vor. Nur wenige sind wie er noch in der Stadt und kaufen die letzte Stunde ein.
„Welche Sorte möchten Sie?“ Die junge Verkäuferin im Nespresso Shop offeriert dem Mann, der einen Sack voll Kapseln gekauft hat, einen Espresso.
„Einen Livanto, das wäre schön.“
Zum Kaffee dazu bekommt der freundlich lächelnde Mann ein kleines Carré Vanilleschokolade mit feinen Nusssplittern.
„Danke. Das ist nett.“
„Gern geschehen, und eine schöne Weihnacht.“
„Ja, Ihnen auch. Fröhliche Weihnacht.“
Die junge Bedienung lächelt und dreht sich zu einer neuen Kundin. Eine Französin, schwarz, mit gestrecktem Haar. Nachdem sie die schwer bepackte Frau bedient hat, wünscht sie auch ihr eine schöne Weihnacht.
Die Schwarze versteht nicht.
„Schwaiö Noel“, wirft der oft so melancholische Mann freudig ein.
„Ah, Joyeux Noël.“ Die Frau kichert. „Pareillement.“ Auch ihm die guten Wünsche.
„Bei uns, es heisst Feliz Navidad“, wacht ein Mann am entfernten Tisch auf.
„Buon Natale“, wirft noch ein anderer seine Hände in die Luft.
Alle lachen und schmunzeln und schauen sich in die Augen.
Der Mann lacht mit.
Dann fragt er sich:

Wie sagt man Fröhliche Weihnacht auf Türkisch?







Brooklyn Bridge bei Nacht, Twin Towers New York, 1993


















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Der erfolgreiche Schriftsteller oder Venus, Mona, LeaLillith, Natascha, Simone, Lola

Der Mann hat ein Buch geschrieben. Also schickt er eine Leseprobe an ein paar Verlage. Die Frankfurter Verlagsanstalt will sofort das ganze Manuskript. Der Lektorin gefällt es wirklich gut. Also legt sie es Unseld vor.

Unseld!

Gott!

Der Mann wartet. Wenn das Buch gefällt, ist er Schriftsteller. Egal, wie viele Bücher verkauft werden. Er träumt von begeisterten Kritiken, von Leserinnen, die an seiner Türe läuten, von gierigen Augen, die ihn bei Lesungen auffressen. Endlich Erfolg! Nie mehr in fauligem Morast strampeln und nicht vorwärts kommen. Nie wieder Tage der völligen Erschöpfung, weil er für Geld arbeitet, dann zugleich schreibt und immer wieder schreibt und korrigiert und wiederschreibt und verbessert und alles wieder von vorne.
Die versprochene Antwort, ob die FVA das Buch nimmt, lässt auf sich warten.
Dann kommt ein Telefon.
Dem Mann schlägt das Herz in den Hals. Es ist die Lektorin der Frankfurter Verlagsanstalt. Sie ruft persönlich an.
„Ich habe es geschafft“, denkt der Mann und sein Herz pumpt sich hoch. „Wenn sie anruft, dann haben sie es genommen.“
„Mir gefällt das Buch sehr.“
Der Mann hält den Atem an.
„Auch Unseld hat es sehr gefallen.“
Der Mann entzückt. Nie mehr Sumpf, nie mehr Tausend tägliche Tode sterben.
Dann werden dem Mann die Arme abgeschlagen, der Kopf. Die Lektorin sagt: „Aber Unseld meint, dass die Erzählung keinen wirtschaftlichen Erfolg bringt.“
Den Rest des Gespräches nimmt der Mann wahr, wie einer, der den Körper schon verlassen hat. Er sieht sich selbst zu, wie er mit der Lektorin spricht.
„Sie möchten es also nicht?“
„… verlagsökonomisch … marketingtechnisch … Verkaufspotenzial …. ungenügend.“
„Es ist also nicht gut genug?“
„…Unseld … Erzählungen sind schwierig …. nichts über ihre Qualität … ich persönlich … Sie verstehen?“

Am Abend sitzt er wieder an seinen Computer. Er kann nicht anders. Er muss schreiben, schreiben, schreiben.
In seinem Blog hat er einen neuen Kommentar zu seiner letzten Kurzgeschichte bekommen.
Simone hat geschrieben. Das freut den Mann.
Dann schaut er nochmals die vielen Kommentare an, die er für seine Geschichten schon erhalten hat.
Verena hat geschrieben: „Ja, diese Geschichten gefallen mir.“
Natascha hat geschrieben: „Habe grad deinen Blog entdeckt. Sehr schöne Texte!“
Und LeaLillith hat auch geschrieben, dass sie seine Geschichten mag.
Sophia: „Mir gefallen deine Texte sehr sehr gut.“
Mona: "Ich komme gerne wieder zum Lesen vorbei."
Venus: „Ich finde deinen Schreibstil sehr schön.“
Der Mann liest die Kommentare. Er liest auch den von Lola: „habe mich gleich am letzten Post festgebissen. Das ist meiner Meinung nach verdammt gut geschrieben.“

Lola.

Verena, Simone, Natascha, LeaLillith, Sophia, Mona, Venus, Knittaxa, Marianne, AnaSzui.

Engel!







 
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Der verlorene Handschuh

Der Mann redet mit einem Handschuh. Er hat ihn in der Stadt gefunden. Er liegt schön ausgebreitet auf dem Deckel eines Mülleimers.
„Was machst denn du hier?“
„Ich wurde verloren.“
„Ja, das sehe ich. Liegst du hier schon lange?“
„Ich weiss nicht“, seufzt der Handschuhe. „Eine junge Frau hat mich aufgehoben und hierhin gelegt.“
„Damit du wiedergefunden wirst. Das ist doch nett.“
Der Handschuh sagt nichts.
„Hm“, versucht der Mann den Handschuh aufzuheitern. „Vielleicht kommt dein Besitzer ja bald zurück. Man sieht dich gut hier.“
Der Handschuh schüttelt den Kopf. „Ich glaube, der kommt nicht mehr.“
„Ach was, sowas darfst du gar nicht denken.“
„Schau her“, meint der Schwarze. „Ich bin schon alt. Das Leder ist abgeschabt immer öfters gibt es Risse. Schau hier, und hier!“ Er zeigt dem Mann die ernsten Wunden.
Vielleicht wurde er doch weggeworfen, denkt der Mann.
„Ich bin nichts mehr wert“, klagt der Handschuh.
„Aber nein“, antwortet der Mann und versucht zu lächeln. „Dein Besitzer vermisst dich sicher schon.“
Der Handschuh sagt nichts mehr.
„Kopf hoch!“
Der Handschuh schweigt.
„Tja, also. Ich muss dann weiter.“
Der Lederne antwortet nicht.
Dem Mann ist es nicht recht. Schon im Gehen, dreht er sich nochmals um. „Weißt du denn, wo dein Besitzer wohnt?“
Der Handschuh gibt keine Antwort.

Es ist nur ein altes Accessoire.

Alleine.

Einsam.

Tot.







New York City, Culture Dispute with Paris, 1993





















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Leute reden hören (II)

Der Mann fährt Zug. Es ist schon spät. Er will die Zeit nutzen und noch eine Geschichte schreiben, eine mit Pointe - und Dialog. Über sich hat er bereits zu oft geschrieben. Also hört er genau hin, was die Passagiere sprechen.
„Hallo?“, kommt es von hinten. „Ja, ich bin’s.“
„He, das ist Mega Hammer“, tönt es rechts.
Er gibt sich Mühe, noch mehr von den Telefonaten aufzunehmen.
„Ich bin eigentlich auch …“ Der Rest geht unter im Geschmier der Fahrtgeräusche, nein es geht doch weiter irgendwo. „… das Problem  ist …Gästezimmer…“
„Minibar!“
Ein paar Leute schauen auf.
„Ein Cappuccino, bitte.“
„Ja, für mich auch.“
Eine Zeitung raschelt voraus, eine andere hinterher. Klacken einer Tastatur.
Die Tür am anderen Ende zischt.
 „Alle Billette, bitte.“
Die Leute kramen in den Taschen.
„Darf ich mal da durch?“
„Moment.“
„Danke, geht schon.“
„Ja, danke.“
Eine Nase wird hochgezogen.
„ …neeein. Das glaub ich nicht.“
„Mhm, o.k.“

Eine Zeitung raschelt.

Eine Nase wird hochgezogen.

Die andere Tür geht auf, geht zu.
Dann bewegt sich die Minibar zum Ende des Wagens. Die Tür zischt. Das Gefährt rumpelt in den nächsten Wagen. Der uniformierte Inder bewegt den Wagen durch die Passage wie ein störriges Kalb in ein Gatter.
 „Was … morgen sollte ….sicher.“
„Ciao. Bis bald.“
Ein kratziger Husten springt davon.
Eine Nase wird hochgezogen.

Kla Klang.

Kla Klang.

Kla Klang.

Kla Klang.

Eine Nase wird hochgezogen.



Streetlife New York City, 1993
















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Reise durch die Schweiz


Der Mann fährt durch die Schweiz. Er liest alles, was er sieht. 

Blueberry-American Bakery
Höllisch guten Preis?
Ich verzeihe dir, aber
Fenster Fenètre Finestra Window
Gang Couloir Corridoio Aisle
Krebs rettet alte Liebe
Minibar Snacks Sandwiches Getränke
Bern
Das Wetter
Morgen im Blick
Thun Spiez Interlaken-West Interlaken-Ost
Lithium Ion Battery
Coop City
Beide Scheiben einschlagen
Literaturen Dezember 2010 N06 Verzweifelt gesucht
Toblerone of Switzerland
Swiss Milk Chocolate with Honey and Almond Nougat
ICE
Psst Quiet Zone Ruhebereich
Lebensgefahr Leitungen nicht berühren
SBB CFF FFS
Comix Shop
Olten Bern Reserved Seats
2 H
WRB 50 85 88-94 006-6
Frein0-PR-A-MG
Omega Seamaster Professional 300m/1000ft 15
Sektor B Gleis 4
Notbremse
Handgriff nur bei Gefahr ziehen. Missbrauch strafbar.
Alarme. Ne tirer la poignée qu’en cas de danger. Tout abus sera puni.
Bombardier
Helsana
Versicherungen
Bedag
Wifag
Migrol
www.blickamabend.ch
Mittwoch, 15. Dezember 2010
Basel, Nr. 244
Blick am Abend
Trennung des Jahres. Schön allein reicht nicht.
Fan der Schweiz schockiert die Welt.
Schatzchäschtli
Hey Shädu. Ich liäb di so lang i läb, imr. Ewig, nene. Nid mal als Vogu. Viellicht als Fflügätätsher. Ja logisch, natürli am liebste bi Dir. Lg. Dini Süess.
Die Singles des Tages. So verführt man mich: Mit einer maskulinen Art

Der Schnügel des Tages.



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Flugzeugmänner


Der Mann fliegt auseinander. Sein linkes Knie ist kaputt - sowieso. Sein rechtes knackt und knirscht. Der linke Ellenbogen meldet sich dumpf pochend, wenn er ihn zulange nicht bewegt hat. Die Haut ist verziert mit rostigen Flecken.
„Ich bin eine DC-3 kurz vor dem Grouding“, denkt der Mann. „Zuviele Starts und Landungen, zu viele Flugstunden mit brüllenden Motoren.“

Air Worthiness Certificate.

Diese Tauglichkeitsbescheinigung bekäme der Körper des Mann wohl nicht mehr in der jugendlichen Welt. Zu kaputt ist der Mann, sein Flugzeugkörper. Ein paar Retuschen hier und dort, ein Haarschnitt, schöne Kleider, eine teure Uhr und Fitnesstraining. Das könnte die Verschrottung noch etwas herauszögern. Aber ein neues Outfit ist nur wie frischer Lack auf rostigem Rumpf. 
Es ist absehbar. Bald wird der Mann so kaputt sein wie eine alte "Dakota", die zulange übergewichtig flog. Die darf grad noch in Afrika weiterfliegen - oder in Vietnam. In der Welt von Hugo Boss und Armani und Prada und Versace hat der Mann hingegen keine Berechtigung mehr.

Dort fliegen neue Düsenjäger.

Schnittige Prototypen.

Ein paar stürzen ab.





Plakatwerbung in NYC, 1993

















 
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Den ganzen verdammten Tag


Der Mann lebt den Tag wie ein ganzes Leben.
Am morgen geht der Wecker los und er wird er in die Welt geworfen. Lärm prasselt auf ihn ein, dass er nicht mehr weiss, wo er ist. Nur langsam greift er sich die Welt, spürt Dinge in seinen Fingern. In Zeitlupe wird er sich seines Körpers gewahr. Krumm ruckt er auf die Bettkante - fällt wieder zur Seite. Endlich steht er auf mit wackligen Beinen, die Augen noch nicht richtig offen.

Er tappt ins Bad wie ein einjähriges Kind.

Das Licht dreht automatisch auf.

Sich waschen.

Dann endlich ist er wach. Thermostat aufdrehen. Kaffeemaschine anstellen. Computer in Gang bringen. Deckenspot anklicken. Der Mann schaltet seine Welt ein und schon arbeitet er den ganzen Tag.
Er arbeitet hart, fast ohne Pause. Wenn er sich einmal entspannen will, drängt schon die nächste Aufgabe. Irgendwo muss er noch essen. Er tut es gierig und gelangweilt zugleich. Die Arbeit ruft schon wieder.

Arbeit.

Arbeit.

Arbeit.

Dann endlich Abend. Man könnte jetzt entspannen, doch neue Telefonate stürmen ins Zimmer. Vergessenes drängt hervor. Mehrarbeit. Kampf.
Als es schon beginnende Nacht ist und der Mann immer noch am Computer hängt, schaltet sich die Kaffeemaschine von selbst aus. Der Mann hört das Klick und staunt. „Schon so spät?“ Er arbeitet noch schneller weiter.
Später zittert er plötzlich vor Kälte. Die Heizung ist schon längst auf Nachtbetrieb. Er hatte es nicht bemerkt.
Jetzt schnell, schnell. Fertig arbeiten, fertig schreiben was man schreiben muss.
Dann klackt es und alles ist schwarz.
Die Zeitschaltuhr hat ihm den Strom abgestellt.

So ist das Leben.






Fernseh schauen in Greenwich Village, 2 a.m.


















 

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Der beste Freund

ACHTUNG! Diese Geschichte hat eine ganz feine Pointe. Mal sehen, ob auch Ihr sie bemerkt ----.


Der Mann stöhnt: „Ich bin krank“. Er antwortet sich gleich selbst: „Ja, du hast viel zu viel gearbeitet.“
„Es war einfach zu heftig in den letzten Tagen.“
„Neun Tage am Stück gearbeitet!“
„Ja, neun Tage“, führt der Mann das Selbstgespräch weiter. „Ohne irgendeine Pause für mich.“
„Es war einfach alles zu viel.“
„Zuerst der Stefan. Er brauchte mich.“
„Ja, eine schwere Depression. Da musstest du einfach für ihn da sein.“
Der Mann öffnet die Hände, wie ein Muslim zum Gebet. „Ich habe es gerne getan.“
„Trotzdem strengt es an.“
„Für sich alleine genommen noch nicht, aber am nächsten Tag kam noch das mit Werner.“
Der Mann schüttelt jetzt die Hand. „Das war schon heftig.“
„Und nicht genug“, geht es dem Mann durch den Kopf. „Dann kam noch diese Crash-Aktion am Donnerstag.“
Der Mann schliesst die Augen. Trotzdem stehen ihm Bilder vor den Augen. Es scheint ihm als schaue er ein schrilles Video hinter Panzerglas.
„Meinst du, dass jetzt fertig ist?“, fragt er sich selbst.
„Ich weiss nicht.“
„Wenigstens ist alles aufgegleist. Stefan wird stationär behandelt.“
„Werner ist wieder bei Beda zurück.“
„Und der Crash ist aufgeräumt.“
„Geflickt!“
"Das hält besser als je."
Jetzt würde der Mann schmunzeln, wenn er noch Energie hätte.
Er schliesst die Augen erneut, fährt sich fahrig durch die Haare. Die Fingerspitzen bleiben auf dem Hinterkopf liegen. Er massiert den Schädel, die Schädeldeckennähte. Das tut ihm mehr als gut. Das schwere Kopfweh bleibt ihm doch.
„Ich bin krank.“
„Ja, ich weiss. Du bist krank.“
„Seit Tagen habe ich es unterdrückt.“
„Weil keiner für mich da ist.“
„Weil keiner für mich da ist.“




Blick vom Empire State Buildung, 1993

















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New York einfach

Der Mann träumt von New York. Vom Central Park, wo er Roller Blades gefahren ist. Vom Caffé Reggio am Washington Square. Von Eileen und ihrem Apartment - und ihrem Bett. Von dem ganz besonders. Es war ein Bett, welches das halbe Studio ausgefüllt hat.

King Size.

Der Mann fragt sich heute noch, wie die zierliche Eileen alleine in diesem Riesenbett schlafen konnte, vor allem, wie sie am Morgen wieder hinausfand aus dieser Schneelandschaft.

Eileen.

Sie war blond, die Haut sonnenblumenhell, die schmalen, langen Finger wie aus Porzellan. Die Schulterblätter stachen hervor wie Kleiderbügel unter dünnem Kleid.
„Wo kommst du her?“, fragte der Mann einmal, als sie zusammenlagen.
Die kleine New Yorkerin antwortete nicht, bewegte sich nicht mit ihrem Kopf an der Schulter des Mannes.
„Ich meine, ganz ursprünglich, wo kommen deine Vorfahren her?“
Der Körper der Frau ruckt ein wenig, so als würde sie bald aufwachen. Sie antwortet aber nichts.
Der Mann hebt den Kopf zu ihr hin, fährt ihr übers halblange Haar, das so dünn ist wie Seidenfäden. „Ich meine, ihr weissen Amerikaner seid doch alle eingewandert. Wo kommst du denn her?“
Eileen dreht sich auf die andere Seite.
Schläft sie denn?, fragt sich der Mann. Nein, das kann nicht sein. Also insistiert er. „Nun sag schon, wo kommst du her? Herkunft ist doch wichtig. Also du kommst sicher aus Europa, nicht?“
Eileen bewegt die Schultern, irgendwie.
Jetzt ist die Neugier des Mannes geweckt. „Was soll das heissen? Du kommst doch aus Europa, nicht?“
Eileen steht auf, geht in die Küche.
„Schweden! Es ist sicher Schweden - oder auch Deutschland. Nordeuropa mindestens“, ruft der Mann.

Später erzählt der Mann einer Freundin von Eileen, dass er keine Antwort bekam. Aber er will es wissen. „Schweden oder Norddeutschland?“, fragt er.
„Findelkind“, antwortet die Kollegin. 






NYC, 1993




































  
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Asche zu Asche

Der Mann faltet die Hände zum Gebet. Er hat es schon lange nicht mehr getan. Wann war die letzte Beerdigung?
Die Predigerin spricht das Gebet vor. Es ist irgendein selbst verfasster Text dieser fremden Frau. Der Mann hört genau hin. Barmherzigkeit.
Die Geschichte, welche die Frau erzählt, kommt von irgendwo. Unberührt versucht der Mann den Sinn des Gemurmels zu verstehen. Es gelingt ihm kaum.

Trost.

Güte.

Das Gebet ist der Frau ist modern, aber irgendwo ansatzlos verfasst. Für den Mann hat wenig davon Wert. Dein Stab und Stecken.
Sowieso. Der Mann ist kaum gerührt von der Beerdigung. Die Asche in der Urne ist ein entfernter Verwandter nur.

Grüne Auen.

Nicht einmal der Lebenslauf wird vorgelesen, ärgert sich der Mann. Wie soll er da wissen, was der Verblichene in seinem Leben vollbracht hat, ob er überhaupt gelebt hat. Jerusalem. Wir nehmen das Singbuch.
Die Orgel zögert und stolpert doch keuchend in die Abdankungshalle. Fast keiner getraut sich einzustimmen. Ein paar ältere Frauen wagen es wie immer. Die Melodie ist holprig, fern, als stamme das Lied aus einem kargen Dorf in Süd-Taiwan.
Dann redet die Predigerin wieder. Verzeihen, sagt sie. Schuld vergeben.
 „Und Ewigkeit“, denkt der Mann.
Die Predigerin sagt: „Ewigkeit“. Dann nimmt sie nochmals Anlauf.
„Achtung, jetzt kommt's“, weiss der Mann und ein Mundwinkel zieht vehement zum Ausgang.
Vorne am Pult breitet die Frau ihre Arme weit aus.

 Gott.

„Amen“, summiert der Mann, aber es kommt noch nicht. Erst muss nochmals gebetet werden.
Der Mann steht mit den Anderen auf. Er faltet die Hände zum Gebet. Sie sind kalt.

Dezember.

Eisiger Nordwind.

Unbeheizte Halle.









New York City, Wintersturmschäden, 1993

 
















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Schuld und Sühne (Fortsetzung von Achtung Diebe!)

Der Mann hat gestohlen. Ein Espressotässchen von Segafredo hat er eingepackt. Nicht einfach so. Er hat es mitgenommen - gestohlen! - weil er wütend war, da er viel zu viel hatte bezahlen müssen für einen einzigen Kaffee und zwei Croissants.
Nun ist sein Ärger über die Abzocke verraucht. Was bleibt ist ein hübsches Espressotässchen in seinem Jacket.
Das Tässchen beult die Jackentasche aus. Der Mann schlägt mit seiner rechten Hand an dieses Ding, wenn er geht. Das stört ihn ein wenig.

Überhaupt.

„Was soll ich mit diesem Teil?“, fragt sich der Mann. „Ich habe doch so schon keinen Platz mehr für Tässchen im Schrank.“
Wieder schlägt er mit der Hand ungewollt an das Tässchen.
Der Mann stellt sich vor, wie es sein wird, wenn er das Tässchen gebrauchen wird. Immer wird es ihn erinnern an diese Abzocke mit den überteuerten Preisen. Immer auch wird es ihn daran erinnern wie er stahl.
Der Mann fasst in die Jackentasche. Er nimmt das Tässchen hoch, schaut es an.
Es ist ein hübsches Teil - und macht doch keine Freude.
Also will er es loswerden.
Er geht zum nächsten Abfalleimer - und weg. Endgültig.

Endlich wieder zuhause empfängt ihn seine Freundin.
„Wie war die Reise?“
„Anstrengend.“
„Was ist das für ein Fleck?“
„Ein Fleck?“
Die Freundin hält das hellgraue Jackett hoch. „Hier, an der Tasche, siehst du? Hast du Kaffee verschüttet?“
„Nein“, sagt der Mann und denkt: "Dieser Fleck kommt von innen."








Aluminiumröhre nahe World Trade Center, NYC 1993
 
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Achtung Diebe!


Der Mann ist völlig überrascht worden. Er hat am Flughafen einen Espresso und zwei Croissants bestellt. Man ist gestrandet wegen Schnee und Eis. Hunger hat man trotzdem. Also bestellt sich der Mann etwas. Man muss ja leben.
„13 Franken 50.“
„Wieviel?
Der Verkäufer antwortet nicht, schiebt nur den Kassazettel rüber.
Tatsächlich. Dreizehn Franken fünfzig. Also etwa 10 Euro.
Das ist aber auch genug. Ihr nehmt es von den Lebenden. Geht es euch eigentlich noch gut? Eine Sauerei ist das! Diebe seid ihr! Das will der Mann sagen, aber sagt es doch nicht. Warum mit dem dunkelhäutigen und zu kurz geratenen Mann streiten. Viel antwortet der ja nicht in seiner gebrochenen Sprache. 10 Euro? Soviel möchte der Mann auch mal in der Stunde verdienen.

10 Euro!

Na ja. Es ist halt Flughafen. Trotzdem. Es ist eine Sauerei. Man steckt im Niemandsland fest, kann nicht vor und zurück und hat keine Alternative.
Der Mann setzt sich und kann sich doch nicht entspannen. 10 Euro! Hastig nimmt er grosse Schlucke Kaffee. Die Croissants will er langsam essen und hat sie doch gleich verdrückt. Sie sind in sich eingefallen, kaum dass er hinein biss. „Zehn Euro für Luft!“, denkt der Mann. „Sauerei!“ Dann schaut er um sich. Die anderen Gäste blicken ebenso bös.
Als er aufsteht, räumt er selber ab. Er bringt das Tablett zur Abräumstation, schiebt es in den mannshohen Wagen, der dort steht. Dann dreht er sich langsam, bleibt aber leicht schräg stehen um seinen rechten Arm zu verdecken. Ohne zu zögern greift er das Espressotässchen, steckt es in seine Jackentasche.

Was kostet ein hübsches Espressotässchen von Segafredo?, fragt sich der Mann. Fünf Euro?

12 Euro minus 5 Euro sind 7 Euro.

Das ist ein akzeptabler Preis für einen Espresso und zwei Croissants.

Der Mann lächelt auf eine ganz bestimmte Art.



Fortsetzung folgt ...
 



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Einfach Shoppen

Der Mann geht shoppen. Ein ganzer Tag ist verplant dafür. Er macht es seiner Freundin zuliebe. Frauen! Können nie genug haben von allen Sachen. Hauptsache die Dinge sind schön und glitzern, egal wie unnötig sie sind.
Der Mann hält sich gut, spaziert neben seiner Frau im grössten Kaufhaus des Landes her. Er schaut dieses und jenes an. Redet sogar ein wenig.
„Gefallen dir diese Schuhe?“, fragt er interessiert.
Seine Freundin dreht den halbhohen Stiefel am Fuss vor dem Spiegel. Sie schaut kritisch.
„Die sind schön, nicht?“
Die Frau zieht den Reissverschluss des Stiefelchens hinunter, schiebt es achtlos zur Seite. Schweigend und mit ernster Miene probiert sie das nächste Paar.
„Die sind besser, ja?“
Die Frau schüttelt leise den Kopf, nimmt die nächsten Schuhe.
Später gibt’s noch Jeans, Schals, eine Wintermütze, wieder Schuhe. Den Mann würden Bücher interessieren. Aber er bleibt seiner Freundin treu.
Irgendwann ist es doch zuviel. Er kann nicht mehr.
In der Mitte der grossen Shoppingmall sieht er eine Piazza. Darin steht prominent eine kleine runde Kaffeebar.
„Ich möchte einen Kaffee trinken gehen, ich muss mal sitzen“, spricht er zu seiner Freundin, die einen Kaschmirpullover untersucht. „Ist es o.k., wenn ich dort auf dich warte?“
Nur kurz löst die Freundin den Blick vom Kleiderstück. Sie schaut hin zu dieser Bar, dann nickt sie knapp.
„Also bis nachher, kommst du dann?“
„Ja“, bestätigt die Freundin tatsächlich und fährt schon wieder über die Wolle.
Also kann der Mann endlich sitzen, die Füsse strecken. Sofort spürt er seine Erschöpfung von den Dingen dieser Welt.
Er ruckt sich ein letztes Mal in den Sitz zurecht. Dann sitzt er still.
Er atmet ruhig ein, dann aus.
Um ihn herum gehen Tausend Leute. Die einen gehen von links nach rechts, die anderen in umgekehrter Richtung. Aus allen Gängen strömen sie hinein in diesen Platz und wieder hinaus irgendwo. Alle scheinen das gleiche  Ziel zu haben. Kaufen, was man kann. Es scheint kein Ende zu nehmen.

Ein Ameisenhaufen!

Der Mann hat keine Eile mehr. Er sitzt still und nimmt sich einfach seine Zeit. Er fühlt sich wie die Königin des Stamms.
Später kommt seine Freundin. Sie müssen nochmals zurück, wo es diese kecken Stiefeletten gab, die mit den halbhohen schwarzen Absätzen und den Porzellankügelchen an Lederriemchen als Accessoires - von Bally natürlich.
„Was, nochmals zurück? Ich mag nicht mehr.“
„Männer“, denkt seine Freundin und schüttelt entnervt den Kopf.






Times Square New York City, 1993

















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Unser blogging Gast: Jannis Blog

Sternlein freut sich. Jannis hat eine Geschichte von Sternlein auf seinem Blog gepostet. Gerne revanchiere ich mich mit einem Post von Jannis. Jannis blog rezensiert Bücher, schreibt über sich, Gott und die Welt, und natürlich vor allem über andere schöne Männer. Schaut doch mal in seinen blog rein, wenn ihr mögt: Die Adresse: http://schmerzwach.blogspot.com/


Und hier ein Post von Jannis als Beispiel:
Titel: Zauberberg auf Teneriffa - Ein Buch, das mich an einen Ort erinnert


Es war Ende Dezember 2007, kurz vor Silvester, ich war in der Stadt, um Besorgungen zu machen, es war saukalt, es nieselte leicht, und ich hatte schlechte Laune. Ich stiefelte in diese hässliche Zeilgalerie und plötzlich sah ich ein Reisebüro. In dem Moment dachte ich: Whoah, geil, wie schön wäre es, einfach eine Woche in den Süden zu fahren, schön am Meer liegen, Sonne und Strand, alleine, alles schön gechillt. Ich sagte der Dame: Hauptsache warm, nicht allzuteuer und gechillt! So landete ich Anfang 2008 für eine Woche in Teneriffa. Ich hatte drei dicke Bücher dabei, denn mein erklärtes Ziel war, Thomas Manns Zauberberg in dieser Woche zu lesen - so saß ich Stunde um Stunde am Strand, las von einem jungen kranken Mann im kalten Davos, und setzte mich mit dieser "verführerischsten Macht, dem Tode, auseinander", und ließ mich "auf komisch-schauerliche Art durch die geistigen Gegensätze von Humanität und Romantik, Fortschritt und Reaktion, Gesundheit und Krankheit" führen. Umgeben war ich von vielen NACKTEN alten Knackern und Knackerinnen am FKK-Strand. Und umgeben war ich auch von schwulen Cruisern, die an mir vorbeiliefen, um ihren Spaß zu haben. Ich habe es geschafft, ihn zu lesen, diesen Zauberberg, manchmal hatte ich Spaß daran, manchmal überlas ich allerdings ein paar Seiten, wenn es allzu politisch wurde...

Quelle: Jannis Blog

Neues Accessoire

Der Mann ist mitten in der Nacht aufgewacht. Er hat geträumt. Nun sitzt er in der Küche und versucht sich wiederzufinden.
Der Mann hat kein Licht gemacht. Das Licht der Strassenlampe vor dem Fenster ist schon angezündet und gibt ihm fahle Orientierung in orange.
Vor seinem inneren Auge sieht er den Nachhall seines Traums der ihn so bedingungslos aufgeweckt hat. Es ist das Bild der Unterarme seiner Freundin. Am linken Arm trägt seine Freundin - seine Ex-Freundin! - ihr Kettchen mit dem Talisman. Am anderen Arm trägt sie eine riesige, bisher unbekannte, goldene Uhr. Das mächtige Band sendet Lichtblitze von eingesetzten Diamanten. Das Zifferblatt leuchtet von massivem Gold.
Auch jetzt in seiner Küche starrt der Mann noch auf diese Uhr. Es ist eine für eine Frau eigentlich viel zu heftige Uhr. Sie ist kräftig, schwer, überragend, absoluten Eindruck weckend.
„Was willst du mit dieser Uhr?“, murmelt der Mann,
Seine alte Freundin antwortet nicht, dreht nur neckisch die Uhr, als ob sie sagte: „Na, das ist eine richtige Uhr, nicht wahr?“
Der Mann versteht nicht. Er kann den Traum nicht deuten, ist nur geknickt und aufgewühlt zugleich.
Später, als er ein Glas Milch trinkt um vielleicht wieder müde zu werden, erinnert er sich plötzlich. Seine neue Freundin hatte sich heute eine neue Uhr gekauft. Stolz hatte sie sie ihm damit vor dem Kopf gewedelt. Der Mann erinnert sich. Die Uhr war zierlich, filigran.

Silber.

Matt.



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Erste Hilfe

Der Mann hat sich in den Finger geschnitten - massiv. Die Klinge des Messers ist abgespritzt und in seinen Zeigefinger gefahren. Die Wucht des Messers war so stark, dass die Klinge bis auf den Knochen ging.
Der Mann weiss, was zu tun ist. Sofort hält er den Arm hoch, drückt sogleich den Daumen der anderen Hand auf die Schlagader hinter seinem Handgelenk. Er presst ihn in die Furche zwischen Speiche und Muskelgewebe und quetscht die Arterie, die dort zum verletzten Finger führt.
Das Blut, das zuerst wie welke Blüten im Herbstwind von seinem Finger wegflog, hält sich nun zurück. Es blutet noch, doch nur noch milde, gleichmässig versiegend.
Dann - scheinbar - hört es vollständig auf.
Als der Mann loslässt, pulst der rote Saft erneut.
Der Mann behält den Arm über Kopf. Er geht ins Bad. Mit der freien Hand kramt er in der Notfallschublade. Das Wundverbandspäckchen reisst er mit den Zähnen auf, presst den weissen Mull auf die tiefe Wunde.

Am nächsten Tag will er - muss er - den Verband wechseln. Er weiss, dass man zu solchen Wunden sorgen muss.
Er löst den verkrusteten Mull vorsichtig.
Ein tiefer Schmerz explodiert in seinem Finger. Blut schiesst hervor. Jetzt wird ihm schlecht.
Rasch drückt er einen neuen Verband darauf.

Irgendwann wird die Wunde eine Narbe sein.

Eine physische Narbe.


No Problem.





New York City, 1992
















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New York hin und zurück

Der Mann steckt tief in seinem Kellerabteil. Er hat sich in alte gestapelte Kisten hinein gewühlt. Er will die Chance nutzen und viel zu lange aufbewahrte Dinge vor die Haustüre bringen. Es ist Gratis-Sperrgut-Abfuhr.
Der Mann hat sich schon weit vorgekämpft. Die ersten Kisten sind durchsucht. Er hat sie vor das Kellerabteil gestellt. Dort liegen sie, aufgebrochen wie Kisten von Piraten.

Es gibt keinen Schatz.

Es sind alte, halb-kaputte Dinge, die der Mann findet. Nutzlose Dinge, doch immer noch behaftet mit einem speziellen Wert. Darum liegen sie im Keller. Man braucht den Mist nicht mehr und kann sich doch nicht trennen. Noch kein einziges Teil ist als Schrott erkannt und aussortiert.
Die nächste Kiste ist schwer. Vielleicht ein altes Küchengerät, das man endlich wegwerfen kann. Eine ganze Kiste weniger, das gäbe Platz - für Neues. Der Mann öffnet die Kiste.

Fotos aus New York.

Der Schatzgräber setzt sich, schaut die alten Fotos wieder durch, wie immer, wenn er diese Kiste öffnet alle sieben Jahre. Es sind mehr als fünftausend Stück. Viele Fotographien sind banal und gleichen allen andern. Nur wenige haben ein spezielles Etwas, entfalten einen magischen Moment auf 10 x 15 cm.
Der Mann sitzt und blättert diese Fotos durch. Was auf den Bildern ist - Abendstimmungen in New York, Nacht, Gebäude, Taxis - ist ihm so weit weg wie diese Stadt und diese Zeit selbst.
Es dauert lange, bis der Mann alle Fotos durchgeschaut hat. Irgendwann merkt er, dass es ihn friert. Rasch legt er alle Fotos in die Kiste zurück, verschliesst sie sorgfältig.
Dann nimmt er sich die nächste Kiste vor, findet weitere Erinnerungen.
Als er fertig ist, stapelt er die Kisten wieder hoch bin unter die Kellerdecke. Die Türme sehen aus wie Wolkenkratzer. Es gibt kaum noch Platz zum Stehen.
Dann verlässt der Mann das Abteil, schliesst es ab.
Er geht die Treppe hoch und hinaus aus dem Keller.

Er löscht das Licht.





Blick vom World Trade Center, New York City, 1994



















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