Soldat sein


Der Mann erinnert sich.

Es sind Soldaten in der Stadt. Sie waren einfach da, als er in die Primarrschule wollte. Haben ihre Lastwagen nahe dem Schulhaus abgestellt, Kisten ausgeladen, Tarnnetze gespannt. Sie werkeln an Geräten, Maschinen. Stapel von Decken und Planen werden hin und her getragen.
Der Junge freut sich immer, wenn die Reservisten da sind. Wenn ein Freund mit ihm kommt, getraut er sich sogar nach Schokolade zu fragen. Manchmal bekommen sie ein Stück. Meist bekommen sie nichts.
„Verschwindet jetzt.“
„Nicht jetzt. Weg da.“
„Wir haben selber nichts.“
„Schoggi wollt ihr? Ich hab noch nie welche bekommen. Die fressen die Offiziere alle selbst.“
„Ha ha ha.“
Auf dem Schulhausplatz stehen dann Hundert Füsiliere vor ihren ausgelegten Sachen. Zerlegte Gewehre, Schuhputzzeug, Socken, Bajonett, Essgeschirr.
Zwischen den Reihen gehen goldbekränzte Offiziere wie Pfaue, zeigen mit dem behandschuhten Finger auf ein Ding. Dann bückt sich der Soldat, nuschelt irgendetwas, springt wieder auf, zeigt dem Offizier das verlangte Ausrüstungsstück, sein Sackmesser vielleicht, oder das  Besteck. Dann zieht sich der Offizier angewidert zurück, als ekle ihn vor dem Ding, das man ihm zeigt. Er knirscht irgendeinen Befehl, der Adjutant hinter ihm macht rasch Notizen, die Schultern des Soldaten fallen ein, das Gesicht zerfällt.
Vor einem Reservisten in den Dreissigern bleibt der Offizier stehen. Breitbeinig, stemmt er beide Fäuste in die Hüften. „So!“ schallt es über den ganzen Platz. „Wo ist ihr Soldatenbuch?“
„Herr Major, ich habe es nicht dabei.“
Der Major streckt das Kinn in die Luft, blickt in den Himmel, die Pupillen verdreht, so dass man nur noch das Weisse im Auge sieht. „Füsilier Muntsch zeigt mir wieder mal eine halbe Ausrüstung“, spricht er zerquetscht. Seine Unterhunde hinter ihm lachen schallend.
Der Soldat sagt nichts.
„Fünf Tage Arrest“, befiehlt der Mann mit dem steifen Hut.
„Ich muss am Montag wieder arbeiten“, sagt der Soldat.
„Wie heisst’s?“ brüllt der Offizier.

Später, als der Vater aus dem Wiederholungskurs entlassen ist, findet er das Soldatenbuch bei seinem Kind. Der Junge hatte das Büchlein ohne zu Denken genommen, als der Vater das Marschgepäck bereitgestellt hatte. Es hatte so wunderschöne Comics drin. Der Junge war fasziniert von den Bildern und Geschichten gewesen.
Es ist Krieg. Die feindlichen Soldaten sind unrasiert, haben kaputte Uniformen. Sie stehlen dem Bauern das Vieh und machen sich grölend über die Frauen her.

Unsere Soldaten haben schöne Uniformen.

Sie singen fröhlich beim Marschieren.



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