ACHTUNG: Alarm Kindsentführung


Der Mann geht durch den Bahnhof in der Großstadt. Menschenmengen sind flirrend unterwegs. Plötzlich kommt eine Durchsage.

Ungewöhnlich.

Diesen Sprecher hat der Mann noch nie gehört. Sonst spricht der Computer, vielleicht mal eine Frau.
Der Beamte sagt: „Achtung: Alarm Kindsentführung. Bitte beachten Sie die Monitore.“
Der Mann geht zu einem Monitor hin. Dort werden die normalen Abfahrtszeiten der Züge gezeigt. Auf der untersten Zeile einzig die Meldung: „Achtung Alarm Kindsentführung. Bitte hören Sie Radio.“
Radio? Wo soll der Mann jetzt Radio hören?
Vielleicht gibt es auf dem mächtigen Bildschirm in der Schalterhalle mehr Info. Der Mann eilt dahin, blickt auf.
Keine Meldung über die Kindsentführung. Nur Niveacreme, Mobiltelefone, Raiffeisenbank. Glückliche Menschen.
Der Mann schaut um sich. Die Reisenden stressen zu den Zügen, oder stehen da und schauen in die Welt. Sie bestellen Billette, trinken Kaffee, kaufen CDs, Zeitungen. Sie lassen sich nicht beirren. Sie gehen ihren normalen Geschäften nach.

Der Entführer ebenso.





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Die klinisch reine Wohnung


Der Mann denkt an seine vergangene Freundin. Sieben Jahre war er mit ihr zusammen. Dann hat sie ihn gelöscht.
Die Trennung kam zwar nicht unerwartet, aber die Heftigkeit der Trennung hatte ihn überrascht. Nach sieben Jahren Gemeinsamkeit hatte er geglaubt, dass etwas mehr Gemeinsamkeit geblieben wäre. Er zumindest macht heute noch Sachen, die er ohne diese Beziehung nicht tun würde. Er geht manchmal am Fluss spazieren, schneidet die Fingernägel akkurat, wie sie es immer gewollt hatte. Die Hosenbeine trägt er länger als früher, die Mode sowieso ausgesuchter. Solch kleine Dinge sind es, die ihm geblieben sind, als Erinnerung an eine gute Zeit.
Seine Freundin hatte anderes im Sinn. Mit der Trennung wollte sie ihn ganz loshaben, seinen Körper, den Geist, und jeden Gedanken an ihn. Also säuberte sie ihre Wohnung auch von jeglichem Andenken an ihn, nachdem er bereits weggezogen war. Als sie fertig damit war, musste er sein zurückgelassenes Zeugs abholen gehen. Er war ganz erstaunt gewesen, wie viel da noch zusammengekommen war. Kugelschreiber, alte Tässchen, rote Kissenbezüge, ein Kaktus. Ueber 100 Dinge hatte seine Freundin zusammengetrieben, die er schon längst vergessen hatte. Erstaunt nahm er wahr, wie sie ihre Wohnung klinisch gereinigt hatte und jegliches Ding vertrieben hatte, das sie wie ein Bazillus wieder mit ihm hätte infizieren können.  
„Nichts, aber auch gar nichts wird an mich erinnern“, trauert heute noch der Mann.
Dann denkt er: „Doch, wenigstens etwas wird es geben, das sie an mich erinnern wird.“ Und er sieht sich wieder, wie er ihr den Scooter erklärte, damals in Griechenland. „Nie mit der Vorderbremse zuerst bremsen“, belehrte er sie. „Immer zuerst mit der Hinterbremse beginnen, erst danach die Vorderbremse ziehen. Sonst jagt es dich hinaus in einer Kurve.“
Klinisch rein war die Wohnung der Freundin, ja, aber wenigstens an diese eine Sache wird sie sich erinnern. Der Mann lächelt mit zusammengekniffenem Mund. Hoffentlich wird sie sich an seinen Ratschlag erinnern, wenn sie in den Ferien wieder Motorrad fährt und der Asphalt in der Kurve weich ist von der prallen Sonne, oder es rutschig ist vom Sand.
Und wenn nicht? Wenn sie ihn komplett vergessen konnte?
Dann wird sie es elendiglich bereuen.


















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Mann sucht schöne Frau

Der Mann trinkt Cappuccino im Kaffeehaus. Er sieht eine schöne Frau. Eine wunderschöne Frau - in der Tat. Sie sitzt ihm nah gegenüber. Ihre Lippen sind rot vor Kälte, beinah ein wenig blau. Trotzdem hat sie die obersten Knöpfe ihres Hemdes aufgemacht. Der Mann schaut hin. Starrt hin. Er kann nicht anders.
Das Gesicht der Frau ist hübsch. Es ist schmal, die Nase noch zierlicher, die Augen ganz dezent markiert. Das hätte es nicht einmal gebraucht.
Die Hände der Frau sind auch schön. Sie sind feingliedrig, ebenmässig, zart, wie die polierte Hand einer Marmorstatue.
Die Figur hingegen ist nur zu erahnen. Über dem Hemd trägt die Frau eine grobe Strickjacke, die sich grob aufwirft und jede Kontur verdeckt. Die Hosen sind zwar eng, aber die Beine trotzdem nicht einzuschätzen. Sie sind unter dem Tisch zu gut versteckt.
Die junge Frau verkrümmt sich an ihrem Platz, denn sie schreibt in ein Buch. Sie ist vertieft in ihre Gedanken, zum Glück. So kann der Mann schauen. Schauen, soviel er mag.
Je mehr er sieht, umso bezaubernder scheint die Frau. Sie wirkt irgendwie fremd, weltabgewandt, in sich gekehrt. Eine Sophie Marceau in light.
Manchmal schaut die Frau kurz auf, streift den Mann mit einem Silberblick.
Der schaut schnell weg, ist scheu wie immer. Er fragt sich, ob die Frau kurzsichtig ist und schielt oder doch nur in sich selbst versunken ist.
Der Mann nimmt sich vor: „Das nächste Mal, das nächste Mal, wenn sie zu mir schaut, dann lächle ich sie an.“
Es dauert lange bis die Frau wieder zu ihm blickt.
Der Mann will lächeln. „Jetzt, jetzt tu ich es.“
Schon zu spät.

Später setzt sich ein schwarzhaariger Mann mit rundem Gesicht zu der Frau. Die Frau explodiert vor Freude, springt dem Mann um den Hals. Sie kreischt vor Freude.

Der Mann bestellt noch einen Cappuccino.








































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Frauen aus Stein

Der Mann trinkt Espresso. Mit klammen Fingern hebt er das Tässchen. Draussen war es bitterkalt. Den Schal hat er gleich anbehalten.
Der Mann stellt das Tässchen wieder ab. Er schliesst die Augen. Jetzt hört er zwei Frauen reden. Sie sitzen hinter ihm, er hat sie noch gar nicht wahrgenommen. Doch wie die Frauen reden, sieht er ein klares Bild von ihnen.
Sie reden:
„Der Arzt sagt…“
„Wie lange hat er das schon.“
„Das Blut ist gut, die Lunge ist gut, der Magen ist gut, alles ist gut.
„Nur nicht ins Spital, das wäre schlimm.“
„Dann, sagte der Arzt zu ihm, er müsse zu einem Spezialisten, sofort.
„Im Spital kommt man nicht mehr raus.“
„Nein, sagte er, er könne nicht, er müsse jetzt zwei Wochen in die Ferien.“
„Man kann es anschauen, wie man will.
„Wegen ihm, vielleicht hat er gesagt ...“
„Man weiss es nicht ...“
Der Mann macht die Augen wieder auf. Er hat immer noch kalt. Er nimmt den nächsten Schluck, behält den Henkel um seinen Finger gewickelt.
„Nein, das mach’ in nicht.“
„Das ist nur hinauszögern.“
„Es gibt auch Leute, die …“
„Wenn es zum Beispiel ein Brustkrebs …“
„Die Sonja hat Brustkrebs gehabt …“
„Die Monika …“
„Sie musste Tabletten nehmen und bestrahlen.“
„Es ist alles gut.“
„Ja, so kommt es.“
„Die musste auch Tabletten nehmen.
„Sie ist ja ausgezogen. Sie wohnt jetzt …“
„Ein Freund?“
„Alleine ..“
„Dann hat sie gesagt, sie melde sich, wenn sie gezügelt ist."
„Du, ich habe jetzt gedacht, bei René …“
„Walter habe ich gesagt, Walter…“
Der Mann reibt sich die Hände. Sie wollen nicht warm werden. Drinnen ist es genau so kalt wie draussen.
























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Männer aus Stein

 
Der Mann ist auf dem Friedhof. Er besucht seinen Vater.
„Wie geht es dir?“
„Wie soll es mir schon gehen? Ich bin tot.“
„Seit acht Jahren schon.“
„Steht drauf auf dem Grabstein. Ich wette, du wusstest den Tag nicht mehr.“
Im Juli war es, denkt der Mann. Am Ersten, glaubt er.
„Am 15. war’s.“
„Okay. Von mir aus. Ich wusste, dass es etwas Rundes war.“
„Der 15? Ein rundes Datum?“
„Für mich schon, irgendwie. Der Erste und der Letzte eines Monats. Anfang und Ende des Monats. Nun ist es eben genau die Mitte.
„Darum hast du auch den Juli gewusst. Weil es die Mitte des Jahres ist.“
„Nicht deswegen, oder nicht nur. Ich erinnere mich, dass es Sommer war. Ich war noch schwimmen und es war unglaublich heiss.“
„Das hätte auch August sein können.“
„Es war Juli.“
„Hhm.“
„Wie geht es dir?“
„Wie soll es mir schon gehen. Ich bin tot.“
„Hhm.“
„Wie geht es Mutter?“
„Ich glaube gut.“
„Manchmal ist sie hier.“
„Ach ja?“
„Dann erzählt sie von dir.“
„Nein, bitte nicht.“
„Was zierst du dich? Willst du nicht hören, was sie sagt?“
„Nein, ich möchte nicht. Lass gut sein. Ich weiss schon, dass ich zuwenig zu ihr schaue.“
„Hhm.“
„Hhm.“

Später, als er geht, rückt der Mann, der Sohn, ein Gebinde zurecht, verabschiedet sich.
Der Vater schaut ihm kaum nach, ist wieder Stein.

























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Der gute Tipp

Der Mann ist erkältet, seit Tagen schon. Er hat zuviel getan und zu wenig zu sich geschaut. Jetzt hat er den Husten, die Brustschmerzen, das Nasenlaufen.
„Du schaust zu wenig zu dir“, spricht er mit sich selbst.
„Ach, hör schon auf", will er sich wehren.
„Mach mal Pause, lass es dir gut gehen.“ Unbekümmert macht ihm seine Stimme im Kopf weiter Vorhaltungen.
Der Mann zieht die Nase hoch. Es ist ihm Leid, sich selbst zu widersprechen. Es nützt ja nichts. Er weiss, er muss mehr für sich selber tun, mehr Freiheit sich nehmen, zum Körper schauen, einmal entspannen und zweimal entspannen - mindestens.
Er setzt Wasser zum Kochen auf, rückt dann an den Wohnungstisch mit dem heissen Wasser und inhaliert unter einem Tuch.
Schleim läuft aus der Nase. Er hustet hart.
„Jetzt kommt es raus. Das tut dir gut.“
„Es ist noch schlimmer, als ich dachte.“
„Das machst du heute gleich ein paar Mal.“
„Du redest wie meine Mutter.
„Wer soll es denn sonst tun? Du schaust ja nicht zu dir.“
„Ja, ja, lass gut sein.“
„Vier mal sollten es pro Tag schon sein.“
„Ich hab schon verstanden.“
„Alle drei Stunden inhalierst du!“
„Mutter, bitte.“
„Du weisst es ja immer besser.“
„Mutter!“
„Ich weiss schon, hab schon verstanden. Du musst immer das letzte Wort haben. Bist ja ein Oberschlauer. Auf mich hört ja keiner …grummel, grummel.“

























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Der Putzteufel

Der Mann putzt seine Wohnung. Er ist mittlerweile ein Experte darin. Das war nicht immer so. Als junger Student hatte er nie Zeit für irgendeine Hausarbeit. Seine Wohnung war sowieso nur Schlafhöhle. Nun ist er älter und nimmt den Kampf gegen Schmutz und Staub mutig auf.
Sein Arsenal an Waffen ist grandios. Er hat Besen verschiedener Grösse und Art, kleine und grosse Kübel, Putzlappen und -tücher und Reinigungsmittel und Spezialcleaner und Bürsten und was alles noch dazugehört.
Mit diesen Geräten ist er perfekt gerüstet für den Kampf. Er hat auch eine eigene Strategie fürs Saubermachen: Immer von oben beginnen, zuerst trocken abstauben, dann nass wischen. Alles macht Sinn beim Putzmann.
Wenn er loslegt, geht es ihm gut. Er ist siegessicher. Es ist anstrengende Arbeit zwar, meist kommt er ins Schwitzen, weil er nicht nur wischt, sondern hartnäckig schrubbt und zügig vorwärts macht. Doch wenn er arbeitet, fühlt er sich wohl in seiner Haut. Er denkt nichts anderes, nur wisch wisch wisch.
Wenn er müde wird, macht er selten eine Pause. Und selbst wenn er sich einmal hinsetzt, überlegt er nur wie weiter, springt sogleich wieder auf. Wisch, wisch, wisch.
Wann er putzt? Immer, wenn es ihm schlecht geht. Wenn er ein Chaos hat in seinem Leben, mit seiner Welt. Wenn er durcheinander ist von der Zeit, den vielen Fragen, dem Nicht-Handeln-Können.
Dann zieht er in die Schlacht gegen Küche, Bad, Büffet. Dann macht er sauber in seinen Dingen, kann vergessen, zur Ruhe kommen.

Immerhin.

Mit den Jahren ist seine Wohnung immer sauberer geworden.

In letzter Zeit ist sie blitzblank.








 Winterzeit, 2010





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Eins und Eins sind Drei

Der Mann möchte sich in sein Lieblingskaffeehaus setzen. Er kann nicht. Noch bevor er die Jacke abgestreift hat, bestürmen ihn zwei Frauen.
„Ich möchte Ihnen danken, dass …“
„Ja, ich auch“, will die Zweite schneller sein.
Der Mann schüttelt Hände, noch bevor er weiss warum.
Die Erste lässt kaum los. „Das war wirklich lieb von Ihnen. Auch Ihnen ein schönes neues Jahr.“
Ach ja, erinnert sich der Mann. Er hatte den Angestellten eine Karte geschickt und ihnen ein schönes neues Jahr gewünscht. Darin hatte er sich bedankt für die Aufmerksamkeit und die nette Bedienung über das ganze Jahr. Er hatte auch noch 20 Euro hineingetan.
„Das war wirklich nicht nötig“, schüttelt die eine dem Mann immer noch die Hand.
„Ich habe es gerne getan“, zeigt sich der Mann freundlich.
„Wir werden zusammen ein Brötchen essen gehen.“
„Das freut mich. Ich hoffe, sie haben noch von anderen Leuten etwas in Ihre Kaffeekasse bekommen.“
„Nun ja, es hat nur noch eine andere Person etwas gegeben.“
„Das ist doch nett.“
„Ja, Das ist wirklich nett. Also, nochmals ganz herzlichen Dank.“
„Gern geschehen“, kann sich der Mann endlich setzen. Es ist ihm fast peinlich. Die Leute schauen schon.
Nur noch ein anderer hat etwas gegeben, geht es ihm nicht aus dem Kopf. So viele Leute trinken hier täglich Kaffee. Und nur er und jemand anderes haben sich bedankt zu Weihnacht? „Les traditions se perdent“, rutscht es ihm von den Lippen.   
Der Mann kann nicht anders. Er schaut in die Runde, sucht Gesicht um Gesicht ab. Die meisten schauen starr in die Zeitung oder reden aufgeregt auf einen anderen ein.
Nur noch ein Anderer war lieb zu den Leuten, die für sie schaffen.

Einer.

Immerhin.

Zusammen sind sie schon zwei.







ohne Worte, 2011


















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Der nette Dalai Lama


Der Mann denkt nach. Krude Gedanken schwirren ihm durch den Kopf. Mit Mühe kann er sie festhalten. Er denkt:
Wir haben eine Leitkultur.
Die Leitkultur sagt, dass jeder machen darf, wozu er Lust hat.
Also macht jeder, wozu er grad Lust hat.
Das hat dazugeführt, dass jeder nimmt, was er will. Die Leute sind schamlos geworden, haben wenig Respekt gegenüber dem Anderen und alle bedrängen sich mehr und mehr.
Das wiederum führt dazu, dass es Streit gibt.
Bei Streit setzt sich meist der Freche, der Brutale durch.
Das führt dazu, dass es keine Solidarität miteinander mehr gibt. Es zählen nicht mehr der Mitmensch und das Glück von allen. Es zählt nur, dass man selbst gewinnt.
Also braucht man immer mehr Geld um sich abgrenzen zu können, von den anderen, die einen bedrängen.
„Wer glaubt, dass es im Leben nur darum geht, so viel Geld wie möglich zu verdienen, irrt“, sagt der Dalai Lama.
„Ja, da hast du Recht“, sagt der Mann.

Dann denkt er weiter nach.

„Wer bist du denn, mein lieber Dalai Lama? Schau dich doch einmal an. Wo musst du leben?“
„Ich lebe im Exil.“
„Eben, im Exil lebst du und was ist mit deiner Heimat, demTibet?“
Der Mann wartet die Antwort nicht ab. „Deine Heimat ist besetzt von Han-Chinesen. Sie übervölkern das kleine Tibet. Bald ist es ganz vorbei mit deiner Kultur. Du wirst sie niemals wieder sehen.
„Ja. Das ist schlimm.“
Der Mann hört kaum hin, redet weiter. „Deine Leute werden herumgeschubst oder gleich vergewaltigt. Du bist ja lebendiger Beweis für das, was ich sage.“
„Ganz so einfach ist es nicht“, entgegnet der Dalai Lama weise. „Wenn Menschen aufmerksam …“
„Doch, es ist genau so, wie ich sage“, unterbricht der Mann. “Du bist nett und lieb und wirst brutal zur Seite geschoben.“
„Meiner Meinung nach…“
„Ach, hör doch auf!“ winkt der Mann verächtlich ab. „Du hast mir nichts zu sagen.“ Knirschend zieht er den Mund schräg. Sein Maul sieht aus wie eine offene Wunde.



Chinatown New York City, 1993




































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