Der Mann hat in diesem Jahr drei neue Falten bekommen. Er hat sie sich redlich verdient. Bemerkt hat er die Falten erst, als er an Sylvester vor dem Spiegel stand. Das tut er selten. Zuviel zu tun, zu wenig Zeit für sich selbst. Sein Bild kennt er sowieso. Das übliche Gesicht.
Nun hat er sich für einmal ein bisschen länger angeschaut. Vielleicht liegt es am Sylvester, am Übergang von Alt zu Neu, das bald schon wieder alt sein wird. Man hält inne und schaut für einmal auf sich selbst.
„Du bist älter geworden“, sagt der Mann zu seinem Spiegelbild.
„Älter oder weiser?“, fragt das Bild zurück.
„Wohl beides.“ Eine weise Antwort.
„Wie lange kann es jetzt noch gehen?“
„Was gehen?“
„Das Leben, so wie es ist. Noch ohne körperliche Schmerzen.“
„Es kann durchaus noch etwas dauern, was meinst du?“
„Ja, das denk’ ich auch.“
Viel haben sie sich vorgenommen, die beiden Männer, fürs nächste Jahr. Noch mehr schreiben, noch mehr Geschichten gestalten, noch mehr Glück erfinden. Die Melancholie verstehen, überwinden. Wenn das nicht geht, trotz allem ein bisschen leben wollen.
Überleben.
Der Mann lächelt nun und erhält ein ganzes Lächeln zurückgeschenkt. Das Leben nicht zu schwer nehmen. Gefühle zulassen. Schreiben. Bücher schreiben. Vor allem eins. Zu den Mitmenschen nett und verständnisvoll sein.
„Das Leben ist nicht einfach.“
„Du hast Recht. Es ist nicht leicht.“ Beide zucken mit den Schultern.
Dann streicht der Mann sich über die drei Falten, die er in diesem Jahr neu bekommen hat. Er ist älter geworden.
Aber noch lebt er.
Er versucht die drei Falten glatt zu streichen.
Es gelingt nicht.
Was einmal eingekerbt ist, bleibt.
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