Zweimal Sex am Tag


Der Mann hat Sex gehabt. Zweimal. Am gleichen Tag. Wenigstens mit der gleichen Frau. Seiner Freundin.
Ja. Der Mann hat eine Freundin. Er hat sie vielleicht einmal alle zwei Wochen. Meist für ein ganzes Wochenende. Das ist mehr Zeit, als viele andere Paare für sich haben.
„Die Blonde gegenüber hat auch einen Freund“, hatte seine Freundin einmal gesagt und er hatte über die Strasse hin zum Fenster mit den goldfarbenen Vorhängen geschaut.
„Wie weißt du das?“
„Ich habe gesehen, wie sie ihn verabschiedet hat am Sonntag.“
Seither hatte er es auch ab und an gesehen. Immer am ersten Sonntagabend eines Monats stehen sie vor dem Hauseingag. Sie umarmen sich nochmals. Sie küsst ihn innig. Er küsst sie, weil er muss. Dann rauscht er ab, muss wohl einen Zug erreichen. Sie steht da und schaut ihm nach, fährt sich wohlig mit den Händen über die Oberarme, kuschelt sich, dreht sich anmutig, hebt die Schultern, geht wieder ins Haus.
„Der Alte rechts oben hat auch eine Freundin.“
„Wer?“
„Der Alte.“
„Welcher Alte?“
„Na der Grauhaarige mit dem kleinen Bärtchen.“
„Der?“
„Ja, der.“
Es stimmt. Dessen Freundin kommt auch nur sporadisch, erratisch schon fast. Manchmal nur einen Nachmittag zum Kaffee. Dann wieder acht Wochen nicht, nur um gleich drei Tage zu bleiben. Wenn sie über Nacht bleiben kann, trägt sie ein schönes Köfferchen ins Haus.
Der Mann hat also Sex gehabt. Zweimal. Er und seine Freundin sind aufeinandergeprallt wie Hunde, haben sich ineinandergekeilt, weil wieder Frühling ist und es schon so lange her war. Es war schön und schmerzhaft zugleich. Der Gummi war verrutscht und sog irr an seinem Ding wie eine Vakuumpumpe.
„Ah, das tut weh“, hatte er mittendrin gesagt.
„Wa…“
„Ah..“
„Was … Was ist?“
„Es geht nicht.“
„Aua.“
„Tut mit leid.“
„Achtung.“
„Ah.“
"Hrg ..."
Der Mann stieg vom Bett, wusch sein Ding, kramte einen zweiten Gummi hervor. Dann stürzte er sich wieder auf seine Freundin.

Nochmals Sex.

Irgendwie.


9997.





















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Gewonnener Tag

Der Mann empfindet einen schönen Tag. Einen ruhigen entspannten herzlichen freudigen Tag.
Es ist kühl geworden. Die Welt, noch frühlingsfiebrig gestern, dreht sich wieder langsam. Ruhe ist wieder gekommen. Die Vögel zwitschern nicht mehr.
Vielleicht sind die Vögel wegen der Kälte in den Büschen geblieben, denkt sich der Mann. Haben sich verkrochen in nadliges enges Gesträuch, wo die Katze nicht hinkommt. Bewegen sich nicht, so dass kein Zweiglein zittert und sie nichts verrät.
Vielleicht atmen sie gar nicht mehr, stellen sind tot?

Sind sie tot?

Der Mann horcht hin. Er hört nichts. Keinerlei Gezwitscher. Keinerlei Geräusch. Er entspannt die Nackenmuskeln wieder, zerfliesst wieder, die Fingerkuppen greifen das Betttuch erneut, als wäre es ein weites Meer, ein totes Meer, das ihn trägt.
Später kreischen Schulkinder vor seinem Fenster. Der Mann hört sie, als wären sie eine Meile entfernt. Er zieht seine Ohrstöpsel. Die Kinder kreischen vor seinem Fenster.
Er schaut auf den Wecker.

12 Uhr 29.

Mittagessen wartet auf die Kinder. Sie springen weiter.
Der Mann ist nun wach. Er kann nicht wieder eintauchen in das weite, samtene Meer.
Er will nicht aufstehen und steht doch auf und nimmt den Tag in Angriff.

Diesen Tag.

Diesen neuen vergessenen Tag, der schon verloren ist, noch bevor er für den Mann begonnen hat.

9.998




Verlorener Tag von neuem

Der Mann liegt im Bett. Der Wecker hat vor zwei Stunden geklingelt. Er hat ihn abgestellt und sich wieder zurückgezogen in sich selbst. Ein Häufchen Mensch. Müde. Weit entfernt von sich selbst. Nochmals eine Viertelstunde sein. Dann sind seine Kräfte erschöpft. Er wird er in die Welt gesaugt.

Was tun heute?

Kaffee trinken. In die Stadt gehen. Herumirren. Zeitung lesen. Durch die Stadt fahren. Einen Kollegen anrufen. Wieder einen Kaffee trinken, oder eine Cola vielleicht. Wieder Zeitung lesen. HerumirrenohneSinnundZweckundNotundFreude.

Und sonst?

Sonst gibt es wenig Neues. Das Wetter hat sich deutlich gebessert. Die Sonne scheint, es ist warm, frühlingshaft. Den Mann zwickte es in der Nase, bis er sein Heuschnupfenmittel nahm. Jetzt kratzt sie trocken.
Regen kommt keiner mehr. Ist vielleicht besser so. In Fukushima hat es zehn Millionen mal höhere Werte im Wasser. Ein Messfehler nur. 100'000 mal soll richtig sein. In Lybien rücken die Rebellen vor. In Lampedusa wird es eng. Der neue Mister Schweiz. Rufen Sie jetzt an!

Und sonst?

Sonst gibt es wenig. Die Leute sind wie immer, vielleicht ein wenig matter, weil es Montag ist. Die Zeitumstellung tut ein übriges. Die Leute sprechen kaum, jeder wurstelt irgendwas. Verschiebt sein Leben für nachher.
 Der Mann verschiebt nichts mehr. Er lebt im Jetzt und trinkt Kaffee. Er geht ins Kaufhaus, weil er allein ist, weil er weiter allein sein will. Schaut vieles an, kauft nichts. Die Zeit. Sie geht vorbei.

Wieder Kaffee. An der Stehbar. Sein Knie schmerzt. Der Kaffee schmeckt nach Abwaschwasser.

Und sonst?

Sonst lebt er seinen Tag.

Er lebt ihn wie immer. Er lebt ihn, als würde es noch 9’999 solcher Tage geben.

Neuntausendneunhundertundneunundneunzig neu verlorene Tage.
























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Verlorener Tag


Der Mann liegt im Bett. Er fühlt sich wie ein toter Fisch. Den Wecker konnte er knapp noch abschalten. Dann hat er sich wieder zurückgezogen in sich selbst. Es dauert eine Stunde bis er aufsteht. Ein Klumpen Fleisch mit Hirn.

Was tun heute?

Kaffee trinken. In die Stadt gehen. Rumirren. Einen Kollegen anrufen. Wieder einen Kaffee trinken. Zeitung lesen. Zeitung wieder lesen. WiederherumirrenohneSinnundZweckundNot.

Und sonst?

Sonst gibt es wenig. Das Wetter hat sich gebessert. Es ist wärmer geworden, frühlingshaft. Es gibt noch keine Knospen an den Bäumen, zum Glück. Der Mann bekommt Heuschnupfen, wenn es gegen Ostern geht.
Die Zeit ist also noch gut. Der schwere Winterparka ist versorgt. Man kann wieder T-Shirt tragen, auch wenn es darüber noch eine Jacke braucht. Vielleicht kommt noch Regen. Die Uhrzeit wird in der nächsten Nacht umgestellt. Fukushima 3 hat ein Loch. 10'000 mal höhere Werte als normal.

Und sonst?

Sonst gibt es wenig. Die Leute sind wie immer, vielleicht ein wenig frischer, aufgedrehter. Jeder irrt irgendwo rum, sucht Glück in Beziehungen, in Sex, in Dingen, im Fernsehen.

Der Mann sucht nicht mehr. Der Mann trinkt Kaffee. Er geht ins Kaufhaus um allein zu sein. Schaut vieles an, kauft nichts.

Kaffee. An der Stehbar. Sein Knie schmerzt. Der Kaffee schmeckt nach verpilztem Karton.

Und sonst?

Sonst lebt er seinen Tag.

Er lebt ihn wie immer.

Er lebt ihn, als würde es noch 10'000 solcher Tage geben.

Zehntausend frische verlorene Tage.





















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Vorher Leben Nachher

Der Mann liegt matt im Sofa und schaut DVD. 11 Stunden lang hat er schon geschaut. Eine Serie über den Amerikanischen Bürgerkrieg. Jetzt dreht sich die letzte Disc im Gerät. Die Schlusssequenz ist bereits vorbei, der Abspann zieht sich hin. Der Mann sinniert.
Ein schrecklicher Krieg war das. 600'000 Tote, die ganze Nation tief gespalten. Nord gegen Süd. Kämpfe in allen Orten. Kleine Scharmützel, große Schlachten, sinnloses Gemetzel ohne Ende, vier Jahre lang. Ein Land mit offenen Wunden übersäht, die eiterten und nur langsam vernarbten.
Der Mann ist beeindruckt von der Historie. Dieser Krieg war eine beinahe tödliche Zäsur für die Nation. Der Erzähler erklärte es so: Der Krieg teilte die USA in ein Vorher und ein Nachher.
Der Mann denkt nach. Schlimme Ereignisse teilen die Welt immer ein in ein Vorher und ein Nachher.

Hiroshima.

Fukushima.

Auch in seinem Leben gibt es eine übermächtige Katastrophe. Er kann sie ganz genau benennen. Es ist der Verlust seiner einzigen, seiner ewigen Liebe. Die scheidet das Vorher vom Nachher.
 Vorher. Das war, als er mit ihr zusammen war. Mit seiner grossen Liebe. Mit Ihr. Mit Maja.
Und das Nachher. Sein Leben nachdem sie ihn verlassen hat.
Sein Körper ist verletzt, weil seine Seele tief verwundet ist. Seine ganze Welt in Scherben. Die Heilung geschieht nur langsam, wenn überhaupt. Vorher, da war er glücklich.

Und jetzt?

Ein altes, verwittertes, kaputtes, verlassenes Haus. Einsturzgefährdet.

Ob sich eine Renovation überhaupt noch lohnt?




New York Times: "Gunman kills ...", 1994






















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Erinnerung an eine Erinnerung einer Erinnerung

Der Mann gibt wieder Schule, lehrt andere Spezialisten das eigene Handwerk. Es ist anständiges Geld, das er verdient. Und doch ist es brutal harte Arbeit.
Nicht die Arbeit an sich ist es, die ihm Mühe macht. Was er den Teilnehmern erzählt, kann er auswendig herunterbeten. Es ist diese schreckliche Nähe zu dieser einen neuen Frau, die ihm alle Energie abverlangt.

Diese Frau.

Es ist diese ewige Frau, von der er nicht loslassen kann. Diese ewig junge Frau. Seine langjährige Geliebte, viel zu früh verabschiedet.
Diese neue Teilnehmerin im Kurs, nun, er kennt sie nicht. Nur wenige Minuten ist sie da und doch ist sein ganzer Geist auf diese Person gerichtet. Ihre Bewegungen, ihr Gesicht, ihre Haare in ihrem Gesicht, diese einzelne vorwitzige Strähne, die kurvig über das linke Auge geht und mahagonifarben die dunkle Pupille verziert.
Warum streicht sie die Strähne nicht aus dem Gesicht?, fragt sich der Mann. Er wartet und kann es kaum aushalten. Du streichst dir doch immer die Strähne aus dem Gesicht, elegant und hart zugleich, selbstbewusst und doch auch zärtlich zu dir selbst. Warum streichst du die Strähne jetzt nicht weg? 
Der Mann kann nicht loslassen, muss schauen, er bittet, fleht schon beinahe, sie möge ihr Haar bewegen, weil er nicht aushalten kann, dass diese Frau nicht tut, was sie immer tut. 
Warum bist du heute so anders, fragt er sich und weiss die Antwort doch selbst. Weil es nicht seine Freundin ist, nur eine Teilnehmerin eines Kurses, die einer anderen Teilnehmerin gleicht, die früher einmal in seinem Kurs war. Eine Erinnerung an jemanden, der ihn an seine grosse Liebe erinnert hatte.
Der Mann schaut genau hin.
Dunkle Haare, schulterlang. Das Gesicht rund, aber nicht mondmässig rund, sondern balanciert oval. Das Gesicht fröhlich, wunderschöne volle Lippen, die Haut rein mit vorwitzigen Flecken welche die perfekte Harmonie brechen und umso mehr Schönheit ausstrahlen.
So hatte auch diese andere Teilnehmerin ausgesehen. Das Gesicht war ähnlich, die Haare leicht stärker gewellt. Sie hat seiner alten Liebe so noch mehr geähnelt.
Alle drei Frauen haben viel gemeinsam und ähneln sich stark. Insgesamt ergeben sie das Muster einer unerreichten, unwirklichen Schönheit. 

Mit einer Ausnahme vielleicht.
Zusammen sehen sie aus, wie seine Mutter mit 28 aussah.
  





















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